Der Wurstehimmel
Wie soll man das beschreiben? Diesen Duft, dieses Aroma. Diese mürbe Textur, die sich allmählich entfaltet, nachdem man abgebissen hat und neugierig weiterkaut. Bis sich schließlich dieser feine, aber dennoch ausgeprägte Geschmack von Schweinefleisch auf dem Gaumen entwickelt, klar und kräftig und voller Charakter, gemischt mit der Würze von schwarzem Pfeffer und vielleicht einem winzigen Hauch von Knoblauch oder auch Kümmel.
Den Menschen im nördlichen Hessen muss man diese Art Geschmacksoffenbarung nicht groß erklären. Die meisten hier sind damit groß geworden. Ebenso wie ihre Vorfahren. Denn die Ahle Wurscht ist in Nordhessen weit mehr als nur ein kulinarischer Hochgenuss. Sie ist Kulturgeschichte und Regionalchronik, Familienrezept und Traditionspflege, Brauchtum und Nachbarschaftshilfe. Sie war einst ständiger Begleiter bei der Arbeit auf dem Feld, Stärkung beim gemütlichen Umtrunk, Proviant für Reisende, Heimwehschmerz für Auswanderer.
Das hat viel mit Leidenschaft, aber mehr noch mit Wagemut und Pioniergeist zu tun. Pflüger, der ursprünglich gelernter Elektroinstallateur war, hat vielen nordhessischen Metzgern über die Schulter geschaut, irgendwann ein altes Rezept geerbt und sich schließlich selbst ans Werk gemacht. Heute empfängt sein Restaurant im Jahr mehr als 45 000 Gäste. Manche kommen von weit her, um Pflügers Ahle Wurscht nach einer ausgiebigen Wanderung zu genießen. Im Jahr 2013 hat er für seine gastronomischen Leistungen den Hessischen Tourismuspreis gewonnen.
Mit Eile und Effizienz, das wissen in Nordhessen inzwischen nicht nur die Älteren, ist keine gute Ahle Wurscht zu machen. Das beginnt schon bei der Auswahl der Schweine, die mindestens ein Jahr alt sein sollten und dabei mehr als 130 Kilogramm auf die Waage bringen müssen. "Sonst ist das Fleisch nicht fett genug für eine gute Wurst", erläutert Matthias Pflüger, der das Metzgern einst über den bäuerlichen Betrieb der Eltern und Großeltern kennengelernt hat. Gutes Essen war den Pflügers schon immer eine Herzensangelegenheit. 1989 kam die Familie auf die Idee, den Hof um ein Restaurant zu erweitern und die hungrigen Wanderer der Region mit selbst gemachten Spezialitäten zu versorgen. Die "Jausenstation", am Rand des idyllisch gelegenen Örtchens Weißenbach am Fuße des Hohen Meißners, besteht noch immer und ist heute in der Region eine der besten Adressen für handgemachten Käse, Schinken und eben Ahle Wurscht.
Das Geheimnis des Erfolges? Die Antwort ist so einfach wie ihre Umsetzung aufwendig. Es ist der Mut zur Qualität sowie die dafür notwendige Geduld. Denn bei der Herstellung einer guten Ahle Wurscht geht es nicht zuletzt um die Lust an der Langsamkeit. Das Fleisch, sagt Pflüger, muss lange reifen. Es dauert drei, vier, manchmal auch sechs Monate, bevor die Wurst würdig ist für den Verkauf. Anders als manche andere Betriebe verzichtet Pflüger auf Zusatzstoffe, die die Würste schon in ein bis zwei Wochen zur Reifung bringen. So viel Aufwand bleibt nicht ohne Folgen. Denn während der langen Reifezeit braucht die Wurst nicht unerhebliche Beobachtung und Pflege. Die Pelle muss von Zeit zu Zeit abgewaschen oder abgebürstet werden, um eine gleichmäßige Trocknung zu erzielen, erst dann kann sie auch den richtigen Geschmack entwickeln.
Kein Wunder, dass die Verkostung des Resultats bisweilen nahezu überirdische Verzückung auslöst. Die Reifekammern in Nordhessen werden schließlich nicht umsonst auch "Wurstehimmel" genannt. "Wer darin geschwelgt hat, weiß, was regionale Produkte an Geschmacksvielfalt und Genuss bieten", schwärmt Pflüger. Deshalb hat er in seiner Jausenstation auch ungefiltertes Biobier aus Witzenhausen im Ausschank sowie Edelgeiste und -liköre ohne künstliche Farb- und Aromastoffe. Wer die wunderbare Natur im Naturpark Meißner-Kaufunger Wald mit seinen qualitätsgeprüften Wegen erwandert und genießt, sollte schließlich auch Naturbelassenes auf dem Tisch erwarten können. Und der Geschmack spricht ja ohnehin für sich selbst.