Darf's ein bisschen Jugendstil sein?
Nymphen, Nixen, Fische, Seesterne und anderes Meeresgetier schmücken die Anlage. Aus den großen, teils von Robben getragenen Sprudelbecken entspringen schäumende Fontänen, Ornamente aus Muschelkalk zieren die leuchtend weißen Wände. Große Uhrentürme ragen empor, Wasser plätschert, sonst herrscht eine wohltuende Stille. Von der großen Freitreppe zwischen den Torhäusern hast Du einen großartigen Blick auf die ehemalige Kuranlage von Bad Nauheim im schönsten Jugendstil – der Sprudelhof gilt gar als größtes geschlossenes Jugendstil-Ensemble Europas.
Wer innehält und ein wenig Muße mitbringt, fühlt sich wie in eine andere Zeit versetzt. Zwischen 1905 und 1911 erbaut, ist die Badewelt bis heute im originalen Stil jener Tage erhalten. Ihr sechs Jahre dauernder Bau kostete damals 10.500.000 Goldmark, das wären heute mehr als 50 Millionen Euro. Die schönen und Reichen der Welt wussten das Ambiente der sechs feudalen Badehäuser zu schätzen. Allen voran das Fürstenbad, das den Blaublütigen vorbehalten war und schon der russischen Zarin Alexandra Wohlbehagen verschaffte – über die Badenden wachten hier ein Abbild der Göttin Aphrodite, über ihrem Haupte schweben Schlangen als Symbole für Asklepios, den Gott der Heilkunst.
Mit seinen Badehäusern samt Wartesälen und 265 Badezellen, den Arkaden und Verwaltungsgebäuden bildet das Jugendstil-Bad eine zum Kurpark hin offene Anlage. Ihre Errichtung wurde von Jugendstil-Künstlern der berühmten Künstlerkolonie Darmstadt im südlich gelegenen Darmstadt maßgeblich geprägt. Ins Leben gerufen wurde die Künstlerkolonie Darmstadt durch den kunstsinnigen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen (1868 - 1937) – er gab damit einer Reihe junger Kreativer Raum, mit dem Ziel einer Reform, die Kunst und Leben zusammenführt.
Zwischen 1899 und 1914 konnten die Künstler durch ihre Bauwerke ein neues Verhältnis von Architektur, Kunsthandwerk, Malerei, aber auch Natur und Alltag zum Ausdruck bringen. In Darmstadt entstand damit ein spektakuläres Zentrum Frühmoderne, das Du heute als faszinierendes begehbares Museum besichtigen kannst.
Zu den aufregendsten Bauten der Mathildenhöhe zählt der Hochzeitsturm, auch Fünffingerturm genannt. Schon von weitem kannst Du den knapp 50 Meter hohen Backsteinbau mit seiner fünfteiligen Turmhaube sehen. Sein Name erinnert an die Hochzeit des Großherzogs mit der Prinzessin Eleonore zu Solms-Hohensolms-Lich, bis heute beherbergt er in seiner fünften Etage ein Trauzimmer. Bemerkenswert sind etwa die Mosaiken „Der Kuss“ und „Die Treue“ in der Eingangshalle, deren Decke wie ein Nachthimmel gestaltet ist. Zur Aussichtsplattform in der siebten Etage führen rund 200 Treppenstufen, Du kannst aber auch bequem mit dem Aufzug hinauf sausen.
Von dort hast Du einen großartigen Blick über die gesamte Anlage mit dem Museum Künstlerkolonie Darmstadt, der Russischen Kapelle und weiteren Künstlerhäusern, die teils im Rahmen von Führungen zu besichtigen sind.
Ein Fest der Kultur und Eleganz auf der Mathildenhöhe
Einmal im Jahr feiert die Mathildenhöhe Darmstadt ein Wochenende lang ihr Welterbefest. Zahlreiche Führungen geben Einblick in die Geschichte der Anlage und auch einige der Künstlerhäuser können besichtigt werden. Musik, Kunsthandwerkermarkt und Kulturprogramm laden zum Flanieren ein, während verschiedene Gastrostände Kulinarisches für den Gaumen anbieten. Highlight am Welterbefest ist dabei die Illumination der Anlage mit Lampions, Teelichtern und farbiger Beleuchtung der Gebäude, angelehnt an die Lichterfeste zu Zeiten der Künstlerkolonie.
Der Klassizismus liebt Traditionen
Auch in der benachbarten Landeshauptstadt Wiesbaden triffst Du auf Elemente des Jugendstils, wenn Du durch die Straßen und Gassen flanierst. Weil der maßgebliche Kaiser Wilhelm II. im Gegensatz zum hessischen Großherzog Ernst Ludwig zu jener Zeit dem „revolutionären“ Jugendstil gegenüber skeptisch eingestellt war, bedienten sich die örtlichen Baumeister der neuen Architektur allerdings eher zögerlich, um den Herrscher nicht zu verärgern.
Weniger Vorbehalte hatte der Potentat gegenüber Wiesbadens Stadtschloss im Stil des zwischen 1770 und 1840 geprägten Klassizismus, das in traditioneller Architektursprache für die Herzöge von Nassau errichtet und später zeitweise von den Kaisern Wilhelm I. und II. bewohnt wurde. Weil bei der Errichtung dieses Schlosses Wert auf Bürgernähe gelegt wurde, findest Du das Anwesen mitten im Stadtzentrum, entsprechend sind auch die Dimensionen überschaubar. In seiner wechselvollen Geschichte diente es später unter anderem als Sitz der britischen Rheinarmee, als Museum der Staatlichen Schlösserverwaltung und ist seit 1946 Arbeitsort des Hessischen Landtags. Bis heute herrscht also Bürgernähe, so befindet sich nun anstelle der 1957 abgerissenen Reithalle ein Plenarsaal samt großem Foyer und Besuchertribüne, und der Musiksaal ist Bühne für stimmungsvolle Konzerte.
Ein weiterer Rückzugsort für Kaiser Wilhelm II., aber mit viel Grün drumherum war das Prunkschloss Wilhelmshöhe im berühmten Bergpark von Kassel, um 1790 für Landgraf Wilhelm IX. im Stil des Klassizismus errichtet. Der Mitteltrakt, das „Corps de Logis“ glänzte durch seine klassizistischen Elemente und die vom römischen Pantheon abgeleitete monumentale Kuppel, die später einem Bombenangriff zum Opfer fiel. Bis 1918 diente das Anwesen als Sommerresidenz der Kaiserfamilie, heute ist es samt umgebendem Bergpark Wilhelmshöhe als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
Du kannst das Anwesen mit der Gemäldegalerie Alte Meister, Antikensammlung und Schlossmuseum nach Herzenslust besichtigen, anschließend lässt sich dann im Museumscafé Jérôme im Untergeschoss neue Kraft tanken.
Wege zu Romanik, Renaissance und Barock
Weit vor der Zeit des Klassizismus, etwa zwischen 950 und dem 13. Jahrhundert, wurden in ganz Europa Bauwerke im Stil der Romanik errichtet. In Hessen waren es vornehmlich große Sakralbauten. Wenn Du durch das schöne Limburg an der Lahn spazierst, kannst Du von nahezu jedem Punkt der Stadt den Georgsdom sehen. Mit einer Länge von 55 und einer Breite von 35 Metern sowie seinen 7 farbenfrohen, bis zu 66 Meter hohen Türmen thront er markant auf einem Kalkfelsen über dem Ort.
Ab dem 11. Jahrhundert im romanischen Stil erbaut, gilt der Dom bis heute als eine der schönsten Kirchen der Republik. Kein Wunder, dass er als Motiv äußerst beliebt war – so zierte der Sakralbau einst die Rückseite des 1000-DM-Scheins und später eine Sonderserie der 60-Pfennig-Briefmarke.
Die Leonhardskirche in Frankfurt am Main, der Dom zu Wetzlar oder die Kilianskapelle von Marburg sind weitere romanische Bauten im Hessischen, Orte der Andacht und Einkehr für zahllose Menschen. Weniger menschlich verfuhr man beim Bau des Alten Rathauses in Wiesbaden, das als ältestes Gebäude der Landeshauptstadt im Stil der Renaissance (15. und 16. Jahrhundert) errichtet wurde. Damals mussten die Einwohner rund um die Uhr ohne Bezahlung bei der Errichtung mit anpacken, Drückebergerei galt nicht. Um dem Nachdruck zu verleihen, baute man neben den Eingang einen Pranger, an dem Übeltäter mit Ketten fixiert und dem Spott der anderen ausgesetzt waren.
Später wurde das einstige Rathaus durch ein gotisches Fachwerk-Obergeschoss ergänzt und mehrfach modernisiert, zuletzt erhielt es einen gläsernen Aufzug und beherbergt heute Wiesbadens Standesamt und im Gewölbekeller ein Weinlokal.
Fuldas Barockviertel: Ein Prachtstück der Barockarchitektur in Hessen
Stilgeschichtlich abgelöst wurde die Architektur der Renaissance dann durch den opulenten Barock. Und wer in Hessen Barock sagt, wird Fulda meinen – ein Teil der City ist wahrlich ein barockes Gesamtkunstwerk. Von der mittelalterlichen Altstadt mit ihren schön restaurierten Fachwerkhäusern sind es nur ein paar Schritte, und schon bist Du mitten in einer anderen Welt. In Fuldas Barockviertel, einst Domäne von Kloster und Kirche, reiht sich ein prachtvolles Bauwerk an das nächste, die meisten wurden etwa zeitgleich in den Jahren um 1700 errichtet. Paulustor, Hauptwache, die Stadtpfarrkircheund andere zählen zu diesem Ensemble, auf kundigen Führungen lässt sich alles erkunden.
Mit Abstand am berühmtesten sind hier zwei mächtige barocke Prunkbauten. Wenige Meter voneinander entfernt findest Du den opulenten Dom St. Salvator samt den himmelhoch aufragenden Glockentürmen sowie das Stadtschloss, das anstelle einer ehemaligen Basilika steht – mit Spiegelkabinett, Fürstensaal und barockem Schlosspark kündet es vom höfischen Leben des 18. Jahrhunderts. Zu verdanken hat Fulda seine wichtigsten Bauwerke einem einzigen Mann: Johann Dientzenhofer (1663–1726). Der Sohn einer armen Bergbauernfamilie wurde nach seiner Lehre als Maurer und Steinhauer in Prag sowie Tätigkeiten in Bamberg und Rom später als fürstäbtlicher Stiftsbaumeister in Fulda engagiert. Anregungen aus seiner Italienreise ließ er in seine Konstruktionen mit einfließen, Fulda verdankt ihm heute den Ruf als deutsche Barockstadt Nummer eins.