In der Weihnachtsbäckerei
Es gibt diese Orte, in denen schon lange vor Dezember Weihnachtsstimmung aufkommt. Dazu gehört, neben dem Nordpol und dem Weihnachtsmann-Dorf im finnischen Lappland, Beerfurth bei Reichelsheim. Bereits im August weht der heimelige Duft von Honig und Zimt durch das kleine Dorf im Odenwald – und zaubert den sommerlich angezogenen Spaziergängerinnen und Spaziergängern ein Lächeln auf die Lippen.
Mitten im Hochsommer beginnt in der Lebkuchenbäckerei Baumann die Weihnachtszeit. Willi Baumann bereitet das schmackhafte Gebäck auf die selbe Art zu, wie schon seine Vorfahren vor ihm – und das seit 1785. Erst seit knapp 300 Jahren sind die Lebkuchen im Odenwald heimisch. Importiert sollen sie von französischen Soldaten worden sein, die im 18. Jahrhundert im Odenwald stationiert waren. Die Soldaten gingen, die Lebkuchen blieben. Und von den damals 16 eröffneten Lebkuchenbäckereien der Region sind heute noch zwei übrig. Eine davon ist die der Baumanns, die sie selbst stolz als „die älteste Lebkuchenbäckerei des Odenwalds“ beschreiben. Wie damals schon stellen sie die würzigen Leckereien in Handarbeit her.
Und die Nachfrage ist riesig: In der Hochsaison rollen hier täglich bis zu sechs Zentner Teig über die Arbeitsfläche. Da die Bäckerei Baumann auch Spritzgebäck, Vanillekipferl und andere Weihnachtskekse anbieten, wird zwischen Mitte November und Weihnachten in drei Schichten gebacken. Bereits um drei Uhr morgens macht Willi Baumann in der Backstube Feuer, wärmt den Honig auf und bereitet den Lebkuchenteig vor. Ab acht Uhr kommen die Helfer. Dann werden wie am Fließband: Teig ausgerollt, Herzen, Sterne und Pferdchen ausgestochen, auf den Blechen platziert und mit Mandeln verziert, um dann sechs Minuten im Ofen zu verbringen.
Ab dem Spätsommer backen die Baumanns für die Bauernmärkte der Region, auf denen sie einen eigenen Stand haben. Der wichtigste Termin ist der Odenwälder Bauernmarkt in Erbach, der jedes Jahr im Oktober stattfindet. Danach beginnt das Weihnachtsgeschäft. „Unsere Kundinnen und Kunden, verteilen die Lebkuchen in der ganzen Welt“, erzählt Isabelle Baumann. Von Amerika bis Südafrika, überall wird der Lebkuchen aus dem Odenwald geliebt.
Ein Besuch in der Lebkuchenbäckerei gleicht einer Reise durch die Zeit. Ob Ausstechformen, Teigwalze oder Waage – viele Küchengeräte scheinen noch original aus Großmutters Küche zu stammen. „Bei uns hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert“, bestätigt der Chef. Willi Baumann setzt auf Altbewährtes. So verwendet er beispielsweise auch heute noch geröstetes Kartoffelmehl zum Bepinseln der Lebkuchen. Und stellt auch das Lebkuchengewürz selbst her – nach altem Rezept aus Ingwer, Anis, Nelken und Kardamom.
Nach all den Jahren, schmecken ihm seine Lebkuchen zum Glück immer noch – aus Qualitätsgründen, muss er sie nämlich täglich probieren. „Was wir hier machen, ist einmalig“, sagt Willi Baumann und man spürt, wie stolz er auf die Familientradition ist. Ob sein Sohn Hanno auch einmal in die Fußstapfen seiner Vorfahren treten wird? „Das muss er dann selbst entscheiden“, meint Baumann. Doch bis dahin werden noch viele Sommer- und Herbsttage voll Lebkuchenduft vergehen.