Shinrin Yoku - Japanische Achtsamkeit in hessischen Wäldern
Waldbaden – das hört sich nach einer Erfindung aus Deutschland an. Denn für kaum jemanden ist der Wald so sehr ein Sehnsuchtsort wie für die Deutschen. Fast magisch zieht er uns in seinen Bann. Doch in Wirklichkeit stammt der Trend zum Waldbaden aus Japan. Und gemeint ist nicht etwa ein Bad in einem Waldsee, sondern das Eintauchen in die wohltuende Atmosphäre eines Waldes. Was nicht heißt, dass man da zum Abschluss nicht auch in einen See springen dürfte, wenn denn einer in der Nähe ist …
Was ist Waldbaden?
Aber was genau ist Waldbaden? Ist ein schlichter Waldspaziergang schon Waldbaden oder gehört dazu mehr? Wo in Hessen kann ich Waldbaden erleben? Und was kostet so ein Waldbade-Erlebnis?
In Japan heißt Waldbaden Shinrin Yoku. Darunter versteht man das bewusste Erleben der Waldatmosphäre. Es geht darum, dem Rauschen der Blätter zu lauschen, den feuchten und würzigen Duft von Tannen, Pilzen und Moos einzuatmen, das Licht auf sich wirken zu lassen, das sich im Blätterwerk bricht. Und wo ginge das wohl besser als in einem hessischen Wald?
Waldbaden mit Wald-Bademeister
Ja, das gibt es wirklich! Und ist sogar sehr zu empfehlen. Denn um ein rundum gelungenes, echtes Waldebade-Erlebnis zu genießen, solltest Du unbedingt mit einem richtigen Wald-Bademeister oder einer Wald-Bademeisterin auf Entdecker- und Erlebnistour gehen. Doch wo findet man diese Spezialisten und Spezialistinnen und was genau ist ihre Aufgabe?
Um diese Frage zu beantworten, bin ich gemeinsam mit dem hessischen Wald-Bademeister Stefan Pruschwitz von “Sehnsucht Wald” ins dichte, grüne Unterholz abgetaucht. Und wollte von dem gebürtigen Oberfranken, der in seiner touristischen Karriere schon im Borkener Seenland, für die Festspiele in Bad Hersfeld und als Geschäftsführer für die Stadtenwicklung Bebra gearbeitet hat, erst einmal wissen, wie er denn zum Waldbaden gekommen ist. Stefan hat mir verraten, dass der Wald mit all seinen Gerüchen und Stimmungen auf ihn schon als Kind eine besondere Faszination ausgeübt hat. Diese Lust am Wald hat er nie verloren. Als er dann 2019 von der Ausbildung zum Wald-Bademeister erfuhr, meldete er sich spontan an – und hat es seither keine Minute bereut.
„Im Wald kann ich vollständig abschalten”, schwärmt Stefan. “Er hilft mir sehr, Stress abzuschütteln und neue Motivation für meine Alltagsaufgaben zu sammeln. Der Aufenthalt in der Natur inspiriert außerdem. Die bewusste, achtsame Beschäftigung mit den vielen Wundern im Wald ist jedes Mal von Neuem eine kleine Entdeckerreise. Wenn ich barfuß über den Waldboden gehe, ist das wie eine Explosion von Sinneseindrücken. Den Alltag vergesse ich dabei vollkommen. Drei Stunden im Wald sind wie ein kleiner Urlaub. Diese Erfahrung versuche ich auch den Leuten, die am Kurs teilnehmen, zu vermitteln. Oft kommen sie mit Sorgen und Problemen in die Kurse. Nach dem Waldbad verlassen sie den Wald mit einem Strahlen. Ein Zustand, der sie auch nach dem Waldbaden noch eine Weile begleitet.”
Im Wald kann ich vollständig abschalten.
Stefan Pruschwitz, Waldbademeister
Wie wird man Wald-Bademeister?
Stefan Pruschwitz weiß Bescheid: „Seit 2017 kann man sich in Deutschland zum Wald-Bademeister ausbilden lassen. Wald-Bademeister oder auch Wald-Achtsamkeitstrainer sind Zertifikatsausbildungen, die teilweise über mehrere Wochen gehen und grundlegendes Methodenwissen über Waldsicherheit, Waldgesundheit, Achtsamkeitstraining und Kursorganisation vermitteln. Theoretische Unterrichtseinheiten wechseln sich mit viel Waldpraxis ab. Darauf aufbauend kann man Zusatzmodule erwerben, wie z.B. Waldbaden für Kinder und Jugendliche. All das garantiert gewisse Standards, die dann den Teilnehmenden zugutekommen.“
Was bewirkt Waldbaden?
Es ist ein bewusstes Eintauchen in die Natur, das für Körper und Seele nachweislich positive Auswirkungen hat, wie Stefan Pruschwitz weiß.
Waldbaden ist nicht einfach irgendeine Mode.„Wenn man beim Waldbaden alles richtig macht und sich auf das Hier und Jetzt konzentriert, vergeht die Zeit wie im Flug”, erzählt er. “Die Körper- und Natureindrücke sind dann sehr stark. Gesund ist Waldbaden ja außerdem auch noch! Die Forschung entdeckt immer mehr positive Aspekte eines Waldaufenthaltes auf uns Menschen. Mit der richtigen Einstellung kann Waldbaden so viele positive Einflüsse und Eindrücke für uns in unserer hochtechnisierten und beschleunigten Welt haben. Das ist auch ganz einfach, denn jeder (nicht nur in Hessen) hat ganz in seiner Nähe einen Wald, in den er gehen kann – ob mit oder ohne Waldbademeister.”
Waldbaden ist mehr als ein Waldspaziergang!
Als Neuling könnte man auf die Idee kommen, es reiche schon ein Waldspaziergang, um von den Wohltaten des Waldbadens zu profitieren. Doch Stefan Pruschwitz schüttelt entschieden den Kopf: „Waldbaden ist viel mehr als ein Waldspaziergang. Bei einem Spaziergang schweifen die Gedanken in alle möglichen Richtungen ab, beschäftigen sich mit der vermasselten Mathearbeit oder mit Beziehungsstress. Der Kopf ist dann abgelenkt und die Achtsamkeit ist nicht gegeben. Beim Waldbaden dagegen konzentriert man sich einzig auf den Moment. Wer einfach nur im Wald spazieren geht, der atmet die gesunde Waldluft ein. Deshalb ist auch ein Waldspaziergang eine wertvolle Beschäftigung und sollte fest in den Alltag eingebaut werden. Ein Waldbad aber beschränkt sich nicht nur auf die gesunde Luft, sondern setzt noch einen drauf.”
Wieso kommt der Trend zum „Waldbaden“ aus Japan?
Wir haben es ja schon angesprochen: Der Wald spielt für Deutschland in Kultur, Mythologie und Lebensgefühl eine ganz wichtige Rolle. Doch kann es sein, dass uns dieser besondere, heilende Aspekt des Waldes nicht bewusst war? Oder haben wir ihn etwa als selbstverständlich hingenommen?
„Wer die japanische Kultur kennt, weiß: Auch dort haben Wälder eine große Bedeutung. Die Idee des Waldbades ist dort aufgekommen, weil sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eben zuerst in Japan mit den positiven Auswirkungen der Waldatmosphäre beschäftigt haben und daraus das Programm Shinrin Yoku entwickelt haben. Forscht man aber ein bisschen, so zeigt sich, dass es ähnliche Ansätze schon früher in vielen anderen Ländern gegeben hat, die dort aber nicht so konsequent verfolgt wurden. Daher ist Japan momentan vornedran. Bei uns hat in der Vergangenheit auch schon Sebastian Kneipp die positive Wirkung des Waldes im Heilungsprozess beschrieben.
“Die Idee, in den Wald zu gehen, scheint mir bei uns Deutschen ausgeprägter zu sein als in anderen Ländern und Kulturen”, hat Stefan Pruschwitz beobachtet. “Deutschland ist ein Waldland, und das hat die Entwicklung der Deutschen immer beeinflusst. Die Menschen pflegen diese Beziehung noch immer. Jetzt, wo viele Menschen in Ballungsräumen leben oder beruflich stark eingespannt sind, macht sich die Sehnsucht nach Wald und damit auch die Sehnsucht nach Natur und Ruhe aber ganz besonders stark bemerkbar“.
Was ist der schönste Platz in Hessen zum Waldbaden?
Zugegeben, Lieblingsplätze sind immer eine sehr subjektive Angelegenheit. Wir haben unseren Wald-Bademeister trotzdem nach seinen ganz persönlichen Tipps gefragt.
„Unter meiner Buche an der Stellerskuppe bei Bad Hersfeld“, lacht Stefan Pruschwitz. „Toll fand ich es aber auch in einem Waldstück im Odenwald. Und besonders mystisch ist ein Buchenwald im Knüll“, verrät der Wald-Bademeister.
„Grundsätzlich ist die Frage nicht leicht zu beantworten”, schränkt Stefan ein. “Weil es auch von der eigenen Stimmung abhängt. Ein Laubwald fühlt sich anders an als ein Nadelwald. Das Wetter spielt eine Rolle. Oft sind es einzelne Bäume, zu denen wir uns hingezogen fühlen. Ich liebe im Frühling Birkenwälder, die es überall gibt. Die haben was von Aufbruchstimmung. Im Herbst, also im Indian Summer, sind die Farben eines Laub-Mischwaldes unschlagbar. Jede Jahreszeit, jede Stimmung eignet sich für einen bestimmten Wald“, erklärt Stefan.
Warum eignet sich Hessen so gut zum Waldbaden?
Hessen ist ein Land der Wälder. Die schönsten stehen im Odenwald, Spessart, Reinhardswald, Knüll und auf der Rhön, nur um einige zu nennen. Das Tolle ist, dass man in Hessen von jedem Ort aus im Nu die wunderbarsten Wälder erreichen kann. Gerade auf Wanderwegen lassen sich die hessischen Wälder gut und sicher erleben. Wer sich in Hessen aufhält, muss auf Fälle nicht in die Ferne schweifen, um Waldbaden zu gehen. Ein echter Luxus!