Lautlos gleitet die „Maria Sibylla Merian“ über das Wasser. In den getönten Fensterscheiben des 50 Meter langen Fahrgastschiffes spiegelt sich das Mainufer mit seinen Museen, Cafés und Bars, der Tower der Europäischen Zentralbank und die vielen Brücken, die den Fluss überspannen. Dahinter erheben sich die markanten Türme der Frankfurter Skyline. An Deck sitzen viele Passagiere. Sie tragen Sonnenbrillen, lehnen sich lässig an die Reling und beobachten das vorbeiziehende Ufer. Einige unterhalten sich auf spanisch oder französisch. Von ihnen verstehen wir nicht viel, nur immer wieder „Oh, mira!“, oder „Regarde!“, wenn sie wieder etwas entdeckt haben, worüber es sich zu staunen lohnt.
Vorne im Führerhaus sitzt Kapitän Mario Brandl. Er manövriert das stattliche Schiff souverän unter den vielen Brücken und zwischen den anderen Booten hindurch. Seit 17 Jahren ist der resolute Kapitän mit dem ansteckenden Lächeln bei der Primus-Linie in Frankfurt angestellt. „Und bis jetzt war noch kein Tag langweilig“, sagt der gebürtige Regensburger. „Jeden Tag haben wir andere Gäste, andere Schiffe fahren vorbei, und sogar am Ufer gibt es immer wieder Neues zu entdecken.“
Das gilt natürlich erst recht für uns: Die Rundfahrt mit der Maria Sibylla Merian eröffnet uns ganz neue Perspektiven auf die Stadt der Banken. Wir sitzen an einem Tisch oben auf dem Deck, genießen die Sonne und den Fahrtwind, der unsere Haare zerzaust. Und ohne den wir vielleicht gar nicht merken würden, dass wir tatsächlich fahren. Die „Maria Sibylla Merian“ fährt so lautlos über den Main, dass uns nur die Fahrtbrise und das vorbeiziehende Ufer verraten, dass sie sich bewegt. Kein Schwanken, keine Wellen sind zu spüren. Auch nicht auf dem unteren Deck, das heute menschenleer ist. Wegen des guten Wetters sitzen alle oben unter dem freiem Himmel. „Wenn wir voll besetzt sind, passen bis zu 300 Menschen hier an Bord“, erzählt Mario. Wir staunen, sind aber dann froh, dass heute weniger los ist. So haben wir während der rund einstündigen Tour freie Sicht auf beide Ufer.
Gestartet sind wir am Eisernen Steg, flussaufwärts in Richtung Osten. Mario Brandl hat das Ruder fest in der Hand. Im weißen Hemd mit blau-goldenen Epauletten, blauer Krawatte mit goldenem Anker und Krawattennadel in Schiffsform sieht er genauso aus, wie man sich einen Kapitän vorstellt. „Zuerst geht’s unter den Alten Brücke durch“, beschrieb der erfahrene Kapitän die Route. Sie ist die älteste Brücke am Main und fällt mit einer goldenen Hahnenfigur auf, dem „Brickegickel“ aus dem 15. Jahrhundert. „Rechter Hand liegt der Stadtteil Sachsenhausen, mit vielen schmalen Gassen und Äppelwoi-Kneipen.“ Wir können sehen, dass an diesem sonnigen Nachmittag dort jede Menge los ist. Auf den Grünstreifen am Kai sitzen Menschen. Sie lachen, trinken Cocktails und lassen ihre Füße über dem Wasser baumeln.
Wir schippern weiter den Main hinauf. Vorbei am hohen, gläsernen Turm der Europäischen Zentralbank geht es hinein in den Frankfurter Osthafen. Der, weiß unser Kapitän, ist ein wichtiger Knotenpunkt für die europäischen Wasserstraßen, Fernstraßen und Schienenverbindungen und über 100 Jahre alt. Seit Ende des 20. Jahrhunderts fungiert er zudem als Containerumschlagplatz. Hier, mitten im schmalen Arm des Mains, wendet Mario die „Maria Sibylla Merian“. Und das wirkt bei ihm spielend leicht. Dabei darfst Du Dir hier kein wagenradgroßes Steuer aus Holz wie in alten Seemannsfilmen vorstellen. Der „Schottel-Antrieb“, mit dem das tonnenschwere Schiff bewegt wird, erinnert eher an eine Spielekonsole. Es reichen kleine Schwenks an zwei Hebeln, damit steuert Mario beide Schrauben gleichzeitig, das Schiff wendet quasi auf der Stelle. „Die Technik in diesen Schiffen ist heute schon genial“, schmunzelt Mario, als er unsere verdutzten Gesichter sieht. „Noch ein Grund, warum ich so gerne Kapitän bin.“ Vom Osthafen aus steuert er das Schiff weiter stadtauswärts bis zur Gerbermühle, einem Traditionslokal und Design-Hotel. Hier legt er für einen Moment an – einige Passagiere steigen aus, andere kommen neu an Bord. Der Name Gerbermühle weist auf die lange und wechselvolle Vergangenheit des Gebäudes hin: Im 14. Jahrhundert errichtet, wurde es zwei Jahrhunderte später zur Getreidemühle umfunktioniert und im 17. Jahrhundert als Gerberei genutzt. Vor dem dreistöckige Haus mit gelber Fassade und Spitzdach, nur durch einen Radweg vom Mainufer getrennt, liegt der große Biergarten – ein beliebtes Ausflugsziel und Radfahrer-Treff.
Auf dem Rückweg in Richtung Skyline genehmigen wir uns einen gespritzten Apfelwein und ein Stück Frankfurter Kranz, eine ringförmige Buttercremetorte mit Krokant. Denn neben der schönen Aussicht von Deck kann man an Bord auch regionale Spezialitäten genießen. Und nicht nur das: „Bei der Primus-Linie veranstalten wir regelmäßig Riverside-Dinner-Fahrten, bei denen die Gäste mit mehreren Gängen verwöhnt werden“, erzählt Mario. Bevor das Schiff wieder unterhalb des Eisernen Stegs anlegt, drehen wir noch eine Ehrenrunde vor der Skyline. Mario fährt am Museumsufer vorbei bis zur Untermainbrücke und wendet dort. Das Manöver dient eigentlich nur dazu, die Fahrtrichtung zu ändern, damit Mario richtig herum anlegen kann. Doch gleichzeitig gibt es uns die Gelegenheit, die teils historischen und teils sehr modernen Bauten am Museumsufer zu bewundern. Insgesamt 37 Museen in Frankfurt bilden einen der wichtigsten und vielfältigsten Museumsstandorte weltweit. 9 dieser Häuser können wir vom Schiff aus zwischen den Platanenalleen ausmachen.
Während Mario uns die letzten Meter ans Ziel schippert, schwärmt er uns von weiteren Touren vor, ganz so, als hätte er in unseren begeisterten Gesichtern gelesen, dass wir gerne noch weiter mit ihm fahren würden. „Was würdet ihr von unseren After-Work-Touren halten?“, fragt der Kapitän. „Die sind sehr beliebt! Wir haben dann einen DJ an Bord, der für gute Stimmung sorgt. Richtig schön sind aber auch unsere Tagestouren nach Seligenstadt, Aschaffenburg, Rüdesheim oder zur Loreley.“ Eine Fahrt legt uns Mario so sehr ans Herz, dass wir beschließen, sie gleich am Abend noch zu machen. „Wenn ihr die Skyline von ihrer schönsten Seite sehen wollt, dann macht unsere Skylight-Tour, wenn Brücken und die Hochhäuser illuminiert sind.“ Recht hat er. Um 22.30 Uhr sitzen wir erneut an Deck der „Maria Sibylla Merian“. Sie fährt genau die selbe Route wie am Mittag, doch nun funkeln am Ufer, an den Brücken und hoch oben an der Skyline Abermillionen von kleinen Lichtern. Sie sind nicht etwa wahllos bunt, sondern farblich hinreißend schön aufeinander abgestimmt. Das Lichtkonzept ist eines der größten in ganz Europa. Während uns das Schiff erneut fast lautlos über das Wasser trägt, kommen wir aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Hoffentlich fragt uns nach diesem Tag niemand, welche Tour die schönere war. Wir könnten uns nicht entscheiden.